Als ich noch ein Kind war, fuhren wir immer mit dem Nachtzug von München nach Zagreb. Dieser rauschte im Dunkeln durch die Alpen, mit quietschenden Rädern und langen Stopps in den Bahnhöfen. Mit strengen Blicken durchkämmten Zöllner und Grenzpolizisten die Abteile an der damals noch österreichisch-jugoslawischen Grenze und wollten wissen, ob wir Kaffee oder etwas anderes dabei hatten. Das war ziemlich aufregend, mitten in der Nacht geweckt zu werden.

Bis heute ist das Reisen im Nachtzug immer noch ein ganz besonderes Erlebnis für mich, dass ich mir leider zu selten gönne. Nun bin ich erneut mit dem Nachtzug nach Kroatien gefahren, diesmal allerdings nicht nach Zagreb, sondern direkt ans Meer – nach Rijeka.  Ach, dieses Ruckeln, das einen so schön in den Schlaf wiegt – oder auch nicht…

Mit dem Nachtzug nach Rijeka – ohne Umsteigen

Ich finde es faszinierend, wie man so problemlos ans Meer reisen kann: Ich brauche zu Fuß nur wenige Minuten zum Regionalbahnhof in Augsburg, bin 40 Minuten später in München, wechsle einfach nur das Gleis – und am nächsten Morgen wache ich am Meer in Kroatien auf. Welch Luxus! Prima ist auch die Uhrzeit, denn Ankunft ist erst gegen halb zehn Uhr morgens in Rijeka. Bei meiner letzten Recherchereise mit dem gleichen Zug bin ich schon morgens kurz vor 6 Uhr im schönen Ljubljana ausgestiegen, im Stockdunkeln stand ich dort am Bahnsteig. Gähn, nicht so ganz meine Uhrzeit…

Schlafwagen-Beschriftung auf Kroatisch
Vagon za spavanje heißt auf Kroatisch wörtlich “Waggon zum Schlafen”  (Foto: Veronika Wengert).

Im Nachtzug von München nach Rijeka gibt es kein stundenlanges Warten auf der Tauernautobahn, kein Stop-and-Go in endlosen Blechkolonnen, kein Warten am Gepäckband und kein Bangen, ob der Flieger überhaupt abhebt. Und es gibt kein Abwägen: Darf das ins Handgepäck oder muss das ins aufgegebene Gepäck? Apropos Koffer: Wenn dieser ein wenig größer ist, ist das auch kein Problem. Zumindest, solange sich nicht drei Riesenkoffer ein Abteil teilen – dann wird es knapp mit Stauraum.

Alleinreisende Frau? Im Nachtzug nach Rijeka kein Problem

Wie funktioniert das Reisen im Nachtzug nach Rijeka nun? Ich habe mir im Internet ein Bett in einem Damenabteil reserviert. Das bekomme ich automatisch vom System zugewiesen, da ich alleine als Frau unterwegs bin. Auf dem Ticket steht einfach “T3 Dame”. Ich habe jedoch nicht das ganze Abteil gebucht, sondern nur ein Bett in einem 3er-Abteil. Das bedeutet, dass theoretisch zwei weitere Frauen mitreisen könnten (aber eben keine Männer).

Bezahlt habe ich für mein Ticket insgesamt 178 EUR. Tickets sind auf der Website Österreichischen Bundesbahnen ÖBB erhältlich, nachdem sich die Deutsche Bahn von diesem Zweig getrennt hat.

Das Ticket könnt Ihr Euch per E-Mail zusenden lassen, allerdings solltet Ihr es erst kurz vor der Abfahrt ausdrucken – falls Euch doch etwas dazwischenkommt. Denn: Einmal ausgedruckt, ist es nicht mehr stornierbar. Das gilt zumindest für meinen sehr günstigen Tarif (kein Flex-Ticket).

Foto Ticket
So sieht das ausgedruckte Ticket für alleinreisende Frauen im 3-er-Abteil aus: Es enthält den Zusatz “T3 – Dame” (Foto: Veronika Wengert).

Ein kleines Protokoll meiner Fahrt mit dem Nachtzug nach Rijeka

Lest nun, wie meine Fahrt mit dem Nachtzug von München nach Rijeka verlaufen ist. Ich habe ein paar Eindrücke für Euch dokumentiert – und sicher auch einige Etappen einfach verschlafen, vor lauter herrlichem Ruckeln 😉

22.45 Uhr: München, Hauptbahnhof, Gleis 12. Ein Zug mit sehr vielen Waggons, wartet auf die Reisenden, die sich mit Koffern und Rucksäcken langsam in Bewegung setzen. Die vorderen Waggons am Gleisanfang werden am nächsten Morgen Budapest erreichen. Ein Mann mit Strandmuschel und Flip-Flops läuft vor mir her, er liest das Schild laut vor: Venezia. Das sind die folgenden Waggons, die nach Venedig fahren werden. Einige Reisenden laufen weiter geradeaus und steigen in die Waggons nach Zagreb via Ljubljana. Ich gehe auf dem Bahnsteig ganz nach hinten durch. Der letzte Waggon ist der Schlafwagen nach Rijeka, der vorletzte mit Sitzplätzen ausgestattet, die es mit dem Spartarif schon ab 29 EUR gibt.

22.50 Uhr: Ich finde mein Abteil. Zwei Betten sind gemacht, ich habe das untere reserviert.

Bett im Schlafwagen
So sieht das Abteil im Nachtzug nach Rijeka aus (Foto: Veronika Wengert).

23.12 Uhr: Die Ansage informiert die Reisenden, dass der Zug erst 30 Minuten später losfährt, da er noch auf einen Anschlusszug wartet. Niemand beschwert sich, schließlich ist Urlaub. Ich liebe Direktzüge, ohne Umstieg.

23.20 Uhr: Der kroatische Schaffner sammelt die Tickets ein und informiert die Reisenden auf sehr gutem Deutsch, wann die erste Polizeikontrolle stattfinden wird. Gegen 7.40 Uhr. Im Waggon sind ein paar deutsche Familien mit älteren Kindern, im Nachbarabteil ein Pärchen mit Rucksäcken, das englisch spricht. Der Schaffner ermahnt alle Reisenden, die Tür nachts zu verschließen. Wenn die Kontrolle komme, werde er klopfen, sagt er.

23.46 Uhr: Der Zug setzt sich in Bewegung, nun ist der letzte Waggon der erste, direkt hinter der Lokomotive. Das Fenster hat dunkle Jalousien, die Klimaanlage funktioniert perfekt. Ein Snack steht auch schon bereit: Ein verpackter Schoko-Croissant mit gefühlt 789 Kalorien, eine Flasche Wasser und ein kleines Fruchtsaftgetränk.

23.48 Uhr: Das Licht im Abteil flimmert, geht an und wieder aus.

23.51 Uhr: Ich sitze im Dunkeln, mit Notlicht. Aber wenigstens gibt es zwei Steckdosen, an denen ich mein Laptop und mein Smartphone aufladen kann.

23.52 Uhr: Ich bin überhaupt nicht müde. Draußen unterhalten sich einige Reisende noch, Türen klappern, jeder will noch mal auf die Toilette. Gut, dass es der erste Waggon hinter der Lokomotive ist, so läuft wenigstens niemand durch, um sich noch ein Bier zu besorgen (das es hier ohnehin nicht gibt, aber ich erinnere mich an russische Züge, als irgendwo immer jemand herumstolperte oder gar das Bett im Großraumabteil (ohne Türen!) verfehlt hat – oje, das war kein Spaß. Diese Großraumabteile haben mir die Freude am Nachtzug-Reisen ein wenig genommen, muss ich zugeben…

Abteil im Nachtzug
Abteil im Nachtzug nach Rijeka (Foto: Veronika Wengert).

0.02 Uhr: Das Licht ist wieder an. Jetzt erst finde ich den Hauptschalter. Klar, direkt über der Tür. AUS. Lange drücken ist das Zauberwort. Es ist dunkel, ich will schlafen und zwar am liebsten sofort, denn in Salzburg werden schon die ersten Waggons abgekoppelt.

0.10 Uhr: Es ist mucksmäuschenstill. Nur das Rattern der Räder ist zu hören.

Irgendwann gegen 2 oder 3 Uhr nachts: Der Zug stoppt, quietscht, Abteile werden abgekoppelt. Ich bekomme es kaum mit, zu müde.

Irgendwann gegen 4 Uhr nachts: Schlaftrunkend schaue ich kurz aus dem Fenster. Ein Abstellgleis mit City Shuttle-Zügen. Dann ruckelt der Zug. Vor und zurück und wieder vor, er wird rangiert. Und irgendwann stehen die Waggons nach Venedig, mit denen wir in München losgefahren sind, einfach auf dem Nachbargleis. Villach heißt der Stopp. Auf dem Bahnsteig sitzen einige Rucksackreisende, zwei Frauen in Dirndl laufen umher, eine Familie mit verschlafenen Kindern.

Foto aus Fenster
Die Waggons nach Venedig werden in Villach abgehängt und stehen dann plötzlich auf dem Nebengleis (Foto: Veronika Wengert).

5.59 Uhr: Der Zug stoppt quietschend in Ljubljana. Der Blick aus dem Fenster fällt auf das große Dreiecks-Hochhaus in Bahnhofsnähe. Es ist schon hell draußen. Nicht wie bei meinem letzten Besuch im liebenswerten Ljubljana, wo es noch stockdunkel war gegen 6 Uhr.

Kurz nach 7.30 Uhr: Der freundliche kroatische Schaffner weckt mich. „Bald ist Grenzkontrolle“. Es gibt heißes Wasser mit einem Beutel Cappuccinopulver, dazu ein weißes Brötchen mit kroatischer Margarine (“Margo”) und der typisch kroatischen „Gemischten Marmelade“, die für mich so schön nostalgisch schmeckt – alles wie früher. Naja, fast.

Foto vom Frühstück
Das Frühstück wird ans rollende Bett gebracht (Foto: Veronika Wengert).

8.25 Uhr: Die Grenzkontrolle im slowenischen Ilirska Bistrica ist durch. Drei freundliche slowenische Grenzbeamte. Keine Spürhunde, keine grimmigen Blicke. Die Slowenen sagen übrigens „meja“ für Grenze, die Kroaten hingegen „granica“ (sprich: granitsa). Bis zur eigentlichen Staatsgrenze dauert es jedoch noch ein wenig.

Bahnhof von Ilirska Bistrica
So sieht der Bahnhof von Ilirska Bistrica in Slowenien aus. Eine alte Lokomotive steht dort auch, wie an den meisten slowenischen Bahnhöfen (Foto: Veronika Wengert)

8.48 Uhr: Vodafone begrüßt mich in Kroatien. Keine Roaming-Kosten, surfen, simsen, telefonieren, alles wie zu Hause möglich, zumindest innerhalb der EU. Ich mag die EU!

8.55 Uhr: Die kroatische Grenzkontrolle in Šapjane ist durch. Die Grenzbeamten werfen nur einen kurzen Blick auf meinen Ausweis. Der englischsprachige Reisende im Nebenabteil will einen Stempel in den Pass. Er brauche keinen, sagt die Grenzbeamtin. „Just for memory“, meint er. Nur zur Erinnerung.

Šapjane
Ein kleines Häuschen steht direkt neben dem Bahnhof von Šapjane – die kroatische Grenzkontrolle steigt hier zu (Foto: Veronika Wengert).

8.59 Uhr: Vorbei an hügeliger grüner Landschaft rauscht der Zug, unter uns taucht die Autobahn auf. Das kroatische Fernsehen meldet via Twitter jetzt schon 21 Kilometer Stau auf der Autobahn in Richtung Split. Jetzt schon! Ich bin erleichtert, dass ich im Zug sitze.

Foto Meer im Hintergrund
Im Hintergrund sieht man schon das Meer (Foto: Veronika Wengert).

Etwa gegen 9.20 Uhr: Opatija-Matulji heißt der Stopp. Wenige Reisende mit Koffern steigen hier aus. Der Halt hat Tradition: Hier stoppte früher die Südbahn ab Wien, mit der Kutsche ging es in den k.u.k.-Ferienort Opatija, nur gut 10 Kilometer westlich von Rijeka – auch einer meiner Lieblingsorte in Kroatien!

Kurz nach 9.30 Uhr: Der Zug erreicht mit nur wenigen Minuten Verspätung Rijeka. Dort warten Vermieter, Freunde und Verwandte auf die Reisenden, die aus dem Zug klettern. Der Schaffner hilft beim Koffer aus dem Zug heben, verabschiedet sich freundlich von jedem einzelnen Gast. Dann ist die Fahrt vorbei.

Bahnhof Rijeka
Endstation: Der Bahnhof von Rijeka ist erreicht (Foto: Veronika Wengert).

9.45 Uhr: Meinen Koffer parke ich für 15 Kuna (ca. 2 EUR) in einem Gepäckfach, das Kleingeld wird problemlos am Ticketschalter gewechselt. Ah ja, Rijeka ist Europäische Kulturhauptstadt 2020 – noch ein Grund, bald wieder herzureisen! Die Luft in Rijeka ist heiß, nur ein laues Lüftchen weht – und ich mache mich auf, die Stadt zu erkunden.

Gepäckfach Bahnhof Rijeka
Gepäckfächer in Rijeka kosten 15 bis 20 Kuna für 24 Stunden, je nach Koffergröße (Foto: Veronika Wengert).

Entschleunigt Reisen – probiert es aus

Noch etwas: Die Zukunft der Nachtzüge ist vermutlich ungewiss. Aber: Nachtzüge sind entschleunigtes Reisen pur. Gerade in Zeiten der Billigflieger-Debatte und allerorts streikendem Flugpersonal wäre das vielleicht eine prima Alternative. Vielleicht konnte ich Euch auch dafür begeistern? Die nächste Reise im Kurswagen nach Rijeka ist auf alle Fälle schon gebucht – dann darf unser Großer, sechs Jahre, auch mit zur Recherche. Das Abenteuer will ich ihm auch ermöglichen, solange es den Nachtzug nach Rijeka noch gibt…

Und die Rückfahrt?

Nachtrag: Von Rijeka ging es im Nachtzug nach München zurück. Der startet in Kroatien um 20.50 Uhr, mein Schlafwagen-Abteil war das letzte, der Zug wirklich überschaubar. Noch vor dem Einschlafen dann die kroatische und slowenische Grenzkontrolle, ein leichtes Ruckeln, süße Träume… doch dann: Uaaa, 4.18 Uhr zeigt der Wecker, ich schaue in grelle Taschenlampen. Wir sind an der deutschen Grenze. Grenzkontrolle. Ein Blick unter mein Bett: Kein blinder Passagier an Bord, Tür zu und weiter geht die Fahrt. Kurz nach 5.45 Uhr kommt duftender Kaffee ans rollende Bett und dann taucht auch schon München-Ost auf einem Schild auf. Gegen 6 Uhr ist die Fahrt im Hauptbahnhof München zu Ende und der nette kleine Zug hat sich über Nacht wundersam vermehrt – überall Traveller mit Koffern, Rucksäcken und viel zu kurzen Hosen, denn die Temperatur ist um über 20 Grad gesunken. Fazit: Die Rückfahrt Rijeka-München ist ebenfalls wirklich entspannt, ein Stündchen länger hätte ich allerdings schon schlafen können. Gute Nacht, Nachtzug, bis zum nächsten Mal.

Author

Veronika Wengert ist freiberufliche Journalistin, Reisebuchautorin und Übersetzerin für mehrere slawische Sprachen. Ihre kroatischen Wurzeln haben sie insgesamt elf Jahre nach Moskau und Zagreb geführt. Sie ist immer noch regelmäßig in Kroatien, Slowenien und anderswo vor Ort - um dort zu recherchieren, wo andere gerne Urlaub machen.

Write A Comment